„Jeanie und Julius“ von Clare Fuller


Dieses Buch ist ein äußerst kunstvolles Buch und dennoch fiel es mir schwer, es zu lesen.

Clare Fuller ist eine Meisterin darin, familiäre Abhängigkeiten in beängstigend kargem Setting zu schreiben und es hat mir beinahe körperliche Schmerzen bereitet, zu verfolgen, wie Jeanie und Julius, beide 51 Jahre alt, nach dem Tod ihrer Mutter in der modernen Welt vollkommen aufgeschmissen sind.

Sie sind Zwillinge und lebten bis zu diesem plötzlichen Tod alle drei gemeinsam in einem alten Cottage ohne fließendes Wasser, Heizung und immer von der Hand in den Mund. Angeblich bestand eine Vereinbarung mit dem Besitzer Rawson, sie alle Lebenslang mietfrei dort wohnen zu lassen, doch kurz nach ihrer Mutter Tod werden sie zwangsgeräumt und sitzen auf der Strasse.

Jeanie, die wegen einer Herzerkrankung häufig zu Hause blieb, kann weder lesen noch schreiben, Julius verdient ein wenig bei Gelegenheitsjobs, doch nach dem sie aus dem Haus gejagt wurden, sind sie mehr oder weniger obdachlos.

Die scheinbare Emotionslosigkeit und Naivität, mit der Jeanie die Situation aushält, die Gemeinheiten und Brutalität einiger Menschen aus dem Dorf sind kaum zu ertragen. Auch das ungeduldige Mitleid von Bridget, einer Freundin ihrer verstorbenen Mum, ist nicht viel besser.

Die Einsamkeit ihrer Protagonist*innen ist himmelschreiend, die Ungerechtigkeiten ebenso und so ging mir dieses Buch stärker als viele Lektüren zuvor an die Nieren. Dabei ist es kein Pageturner, doch wegen der grandios transportierten und niemals direkt benannten Gefühle literarisch höchst wertvoll.

Aus dem Englischen von Andrea O‘Brian, Kjona 2024

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