„Unter Deck“ von Sophie Hardcastle

Triggerwarnung: sexualisierte Gewalt!

Wie kann ein Buch, in dem eine Vergewaltigung vorkommt, schön sein? Dies ist Sophie Hardcastle tatsächlich gelungen, denn ihre poetische Sprache ist wie ein warmer Mantel, in den man sich hüllen, sich darin verstecken kann, wenn die beschriebene Situation einen womöglich überfordert. Sie bietet schöne Sätze an wie eine hilfreiche Hand, die einen wieder aus der Dunkelheit heraus geleitet. 

Dieses Buch handelt von unterschwelliger und sich Bahn brechender Misogynie und der Hilflosigkeit, in die Frauen durch eine Erziehung zur „braven Tochter“ hineinwachsen, sich alles gefallen zu lassen, sich nicht wehren zu können.

Olivia lebt bei ihrem Großvater und führt eine toxische Beziehung mit Adam. Nach einem Streit mit ihm landet sie auf dem Boot von Mac und Maggie und lernt die Liebe zum Meer kennen. In wunderbaren Worten beschreibt die Autorin dieses Meergefühl und die Synästhsie der jungen Olivia, die Farben sieht, wenn sie Töne oder Stimmen hört.

„Voller Ehrfurcht beobachte ich, wie es sich in den nächsten Stunden in das Blau lauer Sommerabende  verwandelt, das Blau der Zahl Vier, das Blau von Vogelgesang. Ein leuchtendes, kräftiges Blau.“

Ihr Großvater stirbt und sie steht vor der Entscheidung, wie ihr Leben weitergehen soll, ob sie ein gutbezahltes Praktikum in der Wirtschaft annehmen oder Kunst studieren soll und sie entscheidet sich, Skipper zu werden.

Nach diesem märchenhaften ersten Teil geht es nun ans Eingemachte: 

Denn einige Jahre später überführt Olivia mit vier jungen Männern eine Jacht nach Neuseeland. Der Ärger kommt unaufhaltsam auf sie zu, seit AJ ihr zuzwinkerte und Cam ihre Hand nahm und sie Tagelang mit den Männern auf dem Boot eingesperrt ist. All die Resignation, die Angst, die Bedrohung und der Selbsthass nach der Vergewaltigung legt die Autorin in einen Satz:

„Es sind auch all die anderen Arten, auf die er dich zwingt, dich zu dehnen, dich zu Stunden zu dehnen, wenn du wach liegst, während sein Atem an deinem Hals kratzt, als würde ein Messer Fischschuppen von deinem schleimigen Körper schaben.“

Sophie Hardcastle zeichnet in dieser Geschichte das Meer als Metapher für das Leben dieser jungen Frau: mit einer glänzenden, bisweilen leicht gekräuselten Oberfläche, darunter Untiefen, gefährliche Strömungen, lauernde Raubtiere. Und nicht jede ist eine Meerjungfrau und findet sich in den Strudeln toxischer Beziehungen zurecht, entkommt den über sie hereinbrechenden, gewaltätigen Wellen, kann sich wehren. 

Doch im dritten Teil geht das Leben weiter und es ist die Kunst, die Olivia rettet und sie ans Festland nach London verschlägt. Dort hat sie sich eine neue Existenz aufgebaut und wagt sich sogar in eine Beziehung zu Hugo. Doch erst auf einer Schiffsreise in die Antarktis versöhnt sie sich wieder mit dem Meer, mit sich und mit ihrem Leben.

Mich hat das Buch trotz der schwierigen Thematik tief bewegt. Es weigert sich, hässlich zu sein, obwohl es eine hässliche Begebenheit erzählt. Doch damit hört die Geschichte eben nicht auf, sie geht weiter und erlaubt dadurch eine Neubewertung. So ist es weniger die Geschichte einer Vergewaltigung als die einer Selbstermächtigung. Und dass sie nicht in einem rosaroten Happy End endet, macht sie nur umso besser.

Aus dem australischen Englisch von Verena Kilchling, Kein und Aber 2021

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